Zeit für ein neues Mindset

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Eine gute Idee allein macht noch kein “großes Ding”.

Es braucht das Mindset, an eine Idee zu glauben und den starken Willen, etwas Weltbewegendes daraus zu machen. Beides ist in Deutschland und in Europa verloren gegangen.

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Es hat sich viel getan, seit ich vor zwei Jahren begann, diesen Blog zu schreiben. Heute sind sich Wirtschaft, Politik und Medien fast einig, dass die Robotik definitiv das „nächste große Ding“ ist. Gemeint ist der Quantensprung, den die jüngsten technologischen Entwicklungen in diesem Bereich markieren, und der sich mit den großen Wendepunkten früherer industrieller Revolutionen vergleichen lässt. Meine eigene Vision in diesem Zusammenhang stelle ich bei jeder Gelegenheit öffentlich klar: Deutschland muss die internationale Führungsrolle in der kognitiven und humanoiden Robotik übernehmen! Das ist vielleicht unsere letzte Chance, als Technologie- und Wirtschaftsnation zurück an die Weltspitze zu gelangen. Rente, Klimapolitik, Flüchtlinge – die großen finanziellen Herausforderungen der nahen Zukunft würden dann schnell ihren Schrecken verlieren.

Ich betone auch immer wieder, dass Deutschland die besten Voraussetzungen hat, den Zukunftsmarkt der Robotik weltweit anzuführen. Und in letzter Zeit erlaube ich mir, klar hinzuzufügen, dass wir das nur schaffen, wenn wir unser Mindset ändern. Diese Schlussfolgerung ist unvermeidlich, wenn man sich die Wurzeln der größten Unternehmen des digitalen Zeitalters ansieht – wie Amazon, Apple, Google oder Microsoft. Aber auch ein Blick auf die Anfänge Deutschlands als Industrienation bestätigt diese Theorie. Bei diesem Artikel hatte ich die Hilfe eines Autorenteams, um meine Behauptung etwas detaillierter zu begründen. Deshalb ist der Artikel auch etwas länger als sonst.

Ein Blick zurück

Also: Über mangelnden Erfindungsgeist können wir uns in Deutschland und Europa ja nicht beklagen. Der Fernseher (Paul Nipkow, 1886), das Elektroauto (Maschinenfabrik A. Flocken, Coburg 1888), der Computer (Konrad Zuse, 1941) – viele Dinge, die heute das Leben prägen, haben ihre Ursprünge in Deutschland. Aber die daraus entstandenen Produkte lassen heute vor allem die Kassen in den USA und Asien klingeln. Was nützte es, dass der Deutsche Johann Philipp Reis schon 1860 ein batteriebetriebenes Telefon erfand? Der Amerikaner Alexander Graham Bell ließ ein Patent registrieren und holte den wirtschaftlichen Erfolg in die Vereinigten Staaten. Und wer war doch gleich Sir Timothy John Berners-Lee? Er entwickelte im europäischen CERN-Kernforschungszentrum HTML, das Transferprotokoll HTTP, die URL, den Browser WorldWideWeb, den ersten Webserver, das Betriebssystem NeXTStep und die erste Webpräsenz mit dem Namen info.cern.ch – kurz gesagt, der Brite erfand das Internet, wie wir es kennen. Wer macht heute damit gigantische Geschäfte? Die Schweizer? Die Briten? Irgendjemand in Europa? Nein, das „big business“ findet in den USA statt. Warum ist das so? Weil eine Idee noch kein „großes Ding“ ausmacht. Es braucht auch das Mindset, an eine Idee zu glauben, verbunden mit dem Willen, etwas Weltbewegendes daraus zu machen. Und daran hapert es in Europa. Insbesondere in Deutschland.

Wir können alles, außer Visionär?

Und damit zurück zum Mindset: Wir haben in Deutschland alle technischen Voraussetzungen, um bei der kognitiven Robotik die internationale Führungsrolle zu übernehmen. Wir konnten bei Neura Robotics innerhalb von zwei, drei Jahren die gesamte Wertschöpfungskette im Haus etablieren: vom Design über die Konstruktion bis zur KI. Das allein ist jedoch nicht der Grund, warum Neura heute der einzige deutsche Player im globalen Wettbewerb um die humanoide Robotik ist, denn die Ressourcen und das Know-how haben hierzulande mehrere Konzerne und Mittelständler, die bei Automation, Sensorik und Steuerungstechnik zur Weltspitze gehören. Also: Was ist bei Neura anders? Das Mindset! Im Kontext dieses Artikels die einzig logische Antwort. Aber ich bin euch schuldig, das einmal konkret zu machen.

Ich habe viel Zeit in San Francisco verbracht, um dort als Sozialarbeiter eine soziale Einrichtung zu unterstützen. Auch heute halte ich mich oft in den Vereinigten Staaten auf – wenn ich als CEO und Gründer von Neura Gespräche mit Partnern oder Investoren führe. Mein Einblick in die amerikanische Gesellschaft reicht von ganz unten bis ganz oben: Die Idee, dass das Denkbare auch machbar ist, der sprichwörtliche „American Dream“, zieht sich durch alle sozialen Schichten. Es ist Teil der gesellschaftlichen DNA, an ein Ziel zu glauben und Skeptikern jedes Urteilsrecht über den eigenen Traum zu verwehren.

Diese Grundhaltung habe ich nach Deutschland mitgebracht, und sie ist heute wesentlicher Teil der Neura-DNA. Ich sage bewusst, dass dies Teil der DNA ist! Denn erst in Kombination mit einigen „typisch deutschen“ Eigenschaften wurde ein Unternehmen wie Neura möglich.

Aber es gibt eben entscheidende Punkte, bei denen wir uns hierzulande weiterentwickeln müssen, wenn wir in einer globalisierten High-Tech-Welt noch vorn mitspielen wollen.

Beispiel 1: Fehlerkultur

Legt in den USA ein Start-up eine Pleite hin, ist das nicht weiter tragisch. Man verbucht den Vorgang auf dem Erfahrungskonto. Man ist überzeugt: Beim nächsten Mal läuft es besser! Es werden dann Beispiele angeführt von prominenten Leuten, die auch schon mal gegen die Wand gelaufen sind. Man macht Mut. Anders bei uns in Deutschland: Wer hier eine Pleite verantwortet oder seine Ziele nicht wie geplant erreicht, steht als Versager da. Wir blicken lieber zurück und suchen Schuldige, statt nach vorn zu schauen und es besser zu machen.

Gerade ging die Fußball-Europameisterschaft zu Ende. Kann mir jemand auch nur einen Spitzenspieler nennen, der noch nie ein Spiel verloren hat? Cristiano Ronaldo oder Toni Kroos haben unzählige Titel errungen – und sie haben auch immer wieder verloren. Was wäre geschehen, wenn man sie gleich nach der ersten Niederlage aus dem Spiel genommen hätte? In der deutschen Wirtschaft ist das leider oft der Weg. Was für eine enorme Verschwendung von Talent und Ressourcen!

 

Beispiel 2: Begeisterungsfähigkeit für Visionen und Visionäre

Ich habe Respekt für jeden, der es wagt, neue Wege zu beschreiten! Freuen wir uns auf die Zukunft und auf alles, was sie für uns bereithält. Stärken wir den Zusammenhalt, wie es in der Gründerzeit Daimler, Maybach, Bosch & Co. taten. Darüber habe ich hier im Blog im Beitrag „Die Macht der Vision“ geschrieben. Da gehe ich hier jetzt nicht nochmal ins Detail. Deutschland braucht diese Technikbegeisterung von einst, denn sie brachte das nötige „Wir-Gefühl“ mit sich.

 

Beispiel 3: „Micro-Management“

Auch Deutschland hat sich in den vergangenen hundert Jahren von einem Land der Gründer und Familienunternehmer zu einem Land der Manager-Kultur entwickelt. Besonders in den vergangenen Jahrzehnten hat sich Delegieren und Abgeben zur anerkannten Führungskultur entwickelt. Dieses Phänomen gibt es auch in Politik und Verwaltung, wo immer mehr externe Berater Entscheidungsgrundlagen schaffen und damit Verantwortung abnehmen. Andererseits haben nicht ohne Grund viele Konzerne schon längst damit begonnen, im sogenannten „mittleren Management“ Personal abzubauen. Es geht einfach viel Information verloren, wenn die Visionen und das Feedback der Unternehmensführung bei den operativ geforderten Teams nur aus dritter und vierter Hand ankommen. Vor allem geht aber etwas verloren, das heute wichtiger ist denn je: Tempo.

Blickt man auf die Wurzeln erfolgreicher Unternehmen – sei es vor einhundert Jahren in Deutschland oder im heutigen Silicon Valley – findet man ausnahmslos Strukturen vor, in denen Gründerpersönlichkeiten sogenanntes „Micro-Management“ betreiben. Steve Jobs war dafür bekannt, sich in jedes Detail einzubringen. Elon Musk ebenso. Besonders in unserer schnelllebigen Zeit müssen „Leaderpersönlichkeiten“ Generalisten sein und ihre Taktik – wenn nötig – jeden Tag anpassen. Micro-Management wird heute oft negativ ausgelegt und als fehlendes Vertrauen interpretiert. Der Erfolg von Micro-Management spricht jedoch eine andere Sprache. Es ist der Garant für hohes Tempo und die einzige Chance, rechtzeitig zu erkennen, wenn irgendwo im Unternehmen eine Richtung eingeschlagen wird, die nicht zu den gesteckten Zielen passt. Auch mich würde mein Team definitiv als Micro-Manager bezeichnen. Wenn es nötig ist, hänge ich mich überall persönlich rein. Denn nur so kann ich als Gründer und CEO auch persönlich meinen Investoren gegenüber dafür geradestehen, dass wir überall das Beste im Sinne unserer Ziele herausholen. Ich würde es mir niemals verzeihen, bei einem kniffligen Problem in irgendeinem Bereich nicht wenigstens versucht zu haben, die Lösung beizusteuern.

Kognitive Robotik erfordert Verantwortungsbewusstsein

Jede der zurückliegenden industriellen Revolutionen brachte durch einen technologischen Quantensprung die Welt entscheidend voran. Zugleich warf bisher jede große technische Errungenschaft auch ethische und moralische Fragen auf. Wer Roboter entwickelt, die künftig den Alltag der Menschen enorm prägen werden, muss ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein mitbringen. Deutschland ist ein verantwortungsvolles Land geworden, wir versuchen immer vorauszudenken und nehmen ethische und moralische Fragen sehr ernst. Das ist definitiv eine Stärke, die wir in unserem Mindset pflegen und erhalten müssen. Ergänzen wir sie durch den festen Glauben daran, auch scheinbar Unerreichbares erreichen zu können! Halten wir zusammen und werten jeden Rückschlag als positive Erfahrung – als ein „Learning“, das uns hilft, unser Ziel noch schneller zu erreichen!

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