Hat Deutschland
noch eine Chance?

ESTIMATED
READING TIME
5 MIN

Ja, ich gebe zu, diese Überschrift ist ein bißchen reißerisch und clickbait-mäßig. Und diese Diskussion – ehrlicherweise – auch schon in die Jahre gekommen.

Es gibt einen guten Grund, die Diskussion jetzt zu Beginn der Automatica 2022 in Erinnerung zu rufen. Und ich verspreche, dass ich am Ende dieses Posts eine Antwort samt Begründung liefern werde!

digitaler-zwilling

Wann hat das eigentlich angefangen, dass wir uns um den „Witrschaftsstandort Deutschland“ sorgen? In den siebziger Jahren schon? Oder waren es die Achtziger? Ich glaube, es hat mit der Textilindustrie begonnen. In Asien waren T-Shirts billiger zu machen, salopp gesagt. Und dann die Elektronik-Industrie! Erinnert sich noch jemand an Grundig aus Fürth? Die waren mal Europas größter Rundfunkgerätehersteller. Und selbst der ur-deutsche Maschinenbau folgte irgendwann dem Ruf des Ostens, um günstiger zu produzieren und Gewinne zu steigern. Spätestens die aktuellen, globalen Lieferengpässe zeigen uns, dass es nicht weitsichtig war, soviel deutsche Kompetenz und Unabhängigkeit aufzugeben. Seit einigen Jahren reden wir sogar davon, dass die deutsche Automobilindustrie, der Motor unserer ganzen Nation, in Gefahr ist. Warum? Hauptsächlich, weil sie verpasst hat, rechtzeitig in die Entwicklung umweltfreundlicher Antriebe zu investieren oder alternative Mobilitätsmodelle zu denken. Aber wir lesen auch, dass die Produktion still steht, weil ein paar Chips aus Asien nicht angekommen sind.

Ich denke, wir müssen uns in Deutschland – selbstkritisch – mindestens zwei Fragen stellen: Erstens: War es langfristig (über Jahrzehnte betrachtet) sinnvoll, immer nur in Gewinnoptimierung und Wachstum zu denken? Und zweitens: Sind wir durch all den Luxus, den wir so angehäuft haben, mit der Zeit träge und unflexibel im Denken geworden?

Die erste Frage können wir inzwischen beantworten. Wir erleben in diesen Tagen in vielen Bereichen Engpässe, die auch darauf zurückzuführen sind, dass wir uns von Lieferanten in Fernost abhängig gemacht haben. Ja, das macht uns als Wirtschaftsstandort schwächer. Die zweite Frage ist etwas komplizierter. Denn es wäre zu einfach, alle Deutschen pauschal als träge hinzustellen. Bei Neura Robotics – und auch vielen anderen Start-Ups, kann man ja sehen, dass es auch in Deutschland hoch motivierte und innovative Leute gibt. Ich schätze, dass auch dieses Problem mindestens zwei Seiten hat: Die Strukturen, die wir in Deutschland und damit in den deutschen Unternehmen geschaffen haben, sind ware Monster. Kreativität und innovative Ansätze werden vielerorts im Keim erstickt. Es gibt diesen berühmten deutschen Ausspruch: ‚Das haben wir schon immer so gemacht’. Und solange man  wirtschaftlich (noch) erfolgreich (genug) ist, gibt es ja keinen Grund, etwas zu verändern. Uns fehlt ein gewisser „Leidensdruck“ – wie er seit Beginn der Menschheitsgeschichte Voraussetzungen für wichtige Erfindungen und Entdeckungen war. Und das offenbart die zweite Seite des Problems. Solange wir in Saus und Braus leben, keine wirtschaftliche „Not“ haben, gibt es keinen Grund für uns, jene Strukturen zu verändern, die uns ausbremsen. Start-Ups haben diesen „Leidensdruck“ von Natur aus, weil sie ihren Weg noch finden müssen. Gewinne sind oft in weiter Ferne und man muss „schlank“und kreativ bleiben.

Strukturen in bestehenden Konzern-Tankern verändern zu wollen, das würde bedeuten Management- und Verwaltungspositionen abzubauen und durch kreative und produzierende Arbeitsplätze zu ersetzen. Aber wer wird künftig „produzieren“ wollen, wenn doch schon eine ganze Generation nur noch Online-Stars und Influenzer-Millionäre zum Vorbild hat. Und „visionäre Kreative“ – die gehören auf Youtube aber nicht in die deutsche Industrie, oder?

Damit Deutschland als Wirtschaftsstandort künftig sowohl dem Silicon Valley als auch den Chinesen die Stirn bieten kann, müssten wir also „nur“ ein paar Schranken im Kopf überwinden und uns von unnötigem Ballast trennen. Limitieren wir uns nicht – als ganze Gesellschaft – mit Regelwerken, die oft keien Sinn machen und deren Ursprung wir längst vergessen haben. Da die Politik kaum den Anfang machen wird, die viel gescholtene Bürokratie abzubauen, müssen die Unternehmen damit anfangen „Inhouse“ umzudenken.
Es wird immer wichtiger sein, Dinge auszuprobieren, Neues zu wagen und verrückten Ideen eine Chance zu geben. Wenn nötig, muss auch mal wieder ein Rad neu erfunden werden. Und vielleicht sollten wir sogar hinterfragen, ob für diese Aufgabe immer Leute mit dem besten Zeugnis und dem höchsten Abschluss die Richtigen sind. Denn beides sagt wenig darüber aus, ob sie im Zweifelsfall völlig neue Lösungsansätze finden und Zukunft machen können. Bei Neura Robotics hinterfragen wir deshalb zuerst Leidenschaft und Motivation – und schauen dann auf die Zeugnisse. Die Erfolge bei Neura waren nur in dieser Rekordzeit möglich, weil wir durch Türen gegangen sind, die in etablierten Unternehmensstrukturen verschlossen sind. („Das haben wir schon mal versucht – das geht so nicht!“)

Wenn also mehr Unternehmen in Deutschland wieder lernen zu denken, wie ein Start-Up, dann haben wir einen Standortvorteil, den uns niemand nehmen kann. Ja, wir sind das Land der Dichter und Denker! Aber wir waren (und sind) auch das Land der Tüftler, Erfinder und Ingenieure. In einer Welt, die komplett von virtuellen Ideen und Software getrieben ist, können wir Hardware – wie kaum ein anderes Land. Lange hieß es jetzt: Hardware ist nur so gut, wie die Software dahinter. Doch das wird sich im Zeitalter der kognitiven Robotik ändern. Beides, Hardware und Software, kann nur so gut sein, wie das jeweils Andere. Hardware und Software müssen in der kognitiven Robotik perfekt zusammenspielen. Ein Beispiel: Greiftechnik wurde in den letzten Jahrzehnten von der Industrie ziemlich vernachlässigt. Jetzt mussten wir die Entwicklung dieser Technologie bei Neura Robotics selbst in die Hand nehmen, weil kognitive Roboter„Hände“ und Tastsinn brauchen.

Ich wüsste nicht, wo man Software (KI) und Hardware besser unter einem Dach entwickeln (und produzieren) könnte, als in Deutschland. Wir haben dafür noch immer die besten Ausbildungsstrukturen und natürlich Köpfe mit unschätzbarer Erfahrung. Deshalb wurde Neura Robotics in Deutschland gegründet.