Meine wichtigste Erkenntnis der letzten Jahre ist: Wir müssen nicht alles wissen – aber wir müssen offen genug sein, voneinander zu lernen.

Seit nunmehr sechs Jahren durchleben mein Team und ich immer wieder Phasen, in denen wir an die Grenze unserer Belastbarkeit gehen, um der Welt zu zeigen, was möglich ist. Und jedes Mal haben wir gedacht: Das ist jetzt der allerwichtigste Moment! Das müssen wir aushalten! Da müssen wir durch! Danach wird es ruhiger. Doch es wird nicht ruhiger. Es kommt die nächste große Prüfung.

Diesmal waren es die Wochen vor der Automatica 2025. Bei der weltgrößten Fachmesse für Automation und Robotik in München hatten wir in diesem Jahr den größten Stand, da wir das mit Abstand breiteste Anwendungsportfolio für Roboter präsentieren wollten. Möglich war das unter anderem, weil wir uns entschieden hatten, die unterschiedlichsten Roboter-Anwendungen gemeinsam mit vielen Partnern zu zeigen. Ich will euch sagen, warum. Denn es ist zugleich die Antwort auf eine Frage, die mir in München immer wieder gestellt wurde: »Was unterscheidet euch von all den anderen Robotik-Unternehmen hier in den Messehallen?«
Meine Antwort beginnt dann immer mit einer Analogie:

»Glaubst du, das iPhone wäre je ein Erfolg geworden, wenn Apple versucht hätte, alle Apps selbst zu entwickeln?«

Allein durch diese Frage wird direkt jedem klar: Stimmt, kein Unternehmen der Welt kann im Alleingang all die Anwendungen und Fähigkeiten entwickeln, die Roboter künftig brauchen. Der zentrale Unterschied, der Neura Robotics ausmacht, liegt nicht in einzelnen Produkten oder technischen Parametern. Er lässt sich nicht in Mikrometer oder Kilogramm ausdrücken. Was Neura ausmacht, ist eine Philosophie: der Glaube an die Kraft der Kooperation!
Deshalb war das mit Abstand wichtigste Ereignis für das Unternehmen, aber auch die Robotik in Deutschland und Europa nicht etwa die Vorstellung unseres Humanoiden 4NE1 – sondern der Launch des Neuraverse. Denn auch 4NE1 könnte nur einen Bruchteil seines Potenzials entfalten, wäre er nicht Teil dieses komplexen Technologie-Ökosystems. Es ist Entwicklungsumgebung, ermöglicht Cloud-Learning, stellt Welt-Modelle und Basis-Skills zur Verfügung und dient als Marktplatz für Apps, der Entwickler, Anwender und Roboter. Kurz: das Neuraverse vernetzt Entwickler, Anwender und Roboter und ermöglicht jedem, alles für und mit Robotik zu machen.

Was ich selten erzähle: Ich habe in den Jahren vor der Neura-Gründung mehr als einmal gesehen, dass die tollsten Projekte und besten Innovationen an fehlender Kooperation scheitern können. Denn geschlossene Systeme funktionieren nur so lange, bis die Welt da draußen schneller ist. Ich erinnere mich noch gut an mein erstes Smartphone. Das hatte ein paar Apps. E-Mails, Kalender, Aufgaben… irgendwann Karten. Die Möglichkeiten waren noch sehr beschränkt, und die Leute skeptisch. Doch dann – in nur wenigen Jahren – entwickelten abertausende Firmen und Programmierer zahllose Anwendungen für den App-Store, die aus der immer besseren Hardware auch das Letzte herauskitzelten. Spiele, Banking, Navigation, Video und Fotografie – heute braucht man keinen Computer mehr, wenn man ein Smartphone besitzt. Plötzlich war dieses Gerät nicht mehr nur ein Telefon mit Touchscreen, sondern ein unverzichtbarer Begleiter. Möglich geworden war das durch ein offenes System, das eine riesige Entwickler-Community entstehen ließ und durch das schnell wachsende Angebot an mobilen Internet-Tarifen sowie der entsprechenden Netz-Infrastruktur.

»Wenn man sich Roboter als Smartphones mit Armen, auf Beinen oder Rollen vorstellt, wird deutlich, warum wir bei Robotik heute ebenfalls eine Philosophie der Kooperation verfolgen müssen.«


Ich denke an eine junge Entwicklerin, die eine Anwendung für die Therapie von Autismus bei Kindern programmieren möchte. Roboter müssten bestimmte Mimik-Signale und Körpersprache erkennen und in einer ruhigen, klaren Sprache antworten. Die Entwicklerin will keine Roboter bauen. Aber sie weiß, wie man Kommunikation gestalten kann. Das Neuraverse bietet ihr die Grundlagen.

Das Neuraverse ist jedoch mehr als eine offene Entwicklungsumgebung, in der Menschen ihre Ideen und Erfahrungen in Robotik-Anwendungen umsetzen können. Es versorgt die verbundenen Roboter mit den dringend benötigten Trainingsdaten, um sich entwickeln zu können und besser zu werden. Und zwar über alle Bauformen hinweg – ob sie auf Rollen fahren, auf Beinen laufen oder als einarmiger Industriehelfer arbeiten. KI-Systeme nutzen seit Jahren das gesamte Internet als unerschöpfliche Datenquelle, um zu lernen. Robotern stand ein solches Netz mit Informationen über die physische, reale Welt bisher nicht zur Verfügung. Es ist eben ein Unterschied, eine Wasserflasche zu erkennen – oder sie tatsächlich auch zu greifen, anzuheben und ihren Inhalt langsam in ein leeres Glas zu füllen. Unsere Kinder benötigen viele Jahre und müssen zahlreiche Rückschläge verkraften, um ihre motorischen Fähigkeiten zu entwickeln – und jedes Kind beginnt mehr oder weniger bei null.

»Europa allein wird bis 2030 etwa 7 Millionen weniger menschliche Arbeitskräfte zur Verfügung haben als heute.«


Diese Zeit haben wir bei Robotern nicht. Europa allein wird bis 2030 etwa 7 Millionen weniger menschliche Arbeitskräfte zur Verfügung haben als heute. In China werden über 80 Millionen Arbeitskräfte fehlen. Wir werden also weltweit schon sehr bald viele Arbeiten automatisieren müssen. Und dabei geht es vielfach um komplexe Aufgaben, die heute Facharbeiter erledigen. Hier können nur kognitive Roboter zum Einsatz kommen, die sicher an der Seite von Menschen arbeiten und dabei vorausschauend und eigenständig agieren. Diese Maschinen müssen in kurzer Zeit sehr viel lernen. Und am effizientesten ist es, wenn sie das Gelernte sofort mit anderen Robotern teilen können. Auch das geht dank Neuraverse.

Zugegeben, in Gesprächen mit der Presse begegnen mir dann auch Vorbehalte: »Sind meine Daten sicher? Wird mein Wissen kopiert?« Verständliche und berechtigte Fragen – aber sie spiegeln nicht wider, was ich selbst in persönlichen Gesprächen wahrnehme: Die meisten Menschen sind aufgeschlossen, weil das Internetzeitalter auch gezeigt hat: Teilen bedeutet nicht automatisch Kontrollverlust, sondern führt häufig zu echtem Mehrwert. Verglichen mit einem gewöhnlichen Online-Einkauf ist die Datenschutzfrage beim Neuraverse kein großes Thema. Denn Roboter können voneinander lernen, ohne dass sensible Informationen offengelegt werden. Sie teilen keine Rohdaten, keine vollständigen Profile – sondern nur das, was sich bewährt hat. Ich sag es mal so: Dein Roboter wird besser, weil ein anderer Roboter irgendwo auf der Welt gestern etwas gelernt hat. Dazu muss keiner wissen, wer der andere war. Das ist für mich der Inbegriff von Kooperation: Gemeinsam vorankommen, ohne Kontrolle abzugeben.

Ich bin auf der Messe durch unsere Live-Demos gelaufen, habe gesehen, wie unterschiedlich die Menschen auf unsere Roboter reagieren. Da war ein älterer Mann, der sagte: »So einen hätten wir gebraucht, als meine Frau gestürzt ist.« Und ein 16-jähriger Azubi aus einer Autowerkstatt meinte: »Ich würde da sofort eine App programmieren, mit der der Roboter Hagelschäden aus der Karosse entfernen kann.« Das hat mich bewegt. Denn es zeigt: Menschen sehen in Neura Robotics nicht nur Technologie. Sie erkennen, was man damit machen kann – die Bedeutung für unsere Gesellschaft und unsere Zukunft. Auf der Automatica dachte ich in diesem Jahr oft daran, welches Potenzial wir freisetzen könnten, wenn alle Robotik-Unternehmen, die auf der Messe waren, wirklich kooperieren würden. Aber dafür müssen wir loslassen. Müssen anderen erlauben, mitzumachen. Ich glaube nicht an diese alte Denke vom Wettbewerb, wo jeder für sich arbeitet und niemand vom anderen wissen darf. Ich glaube an Systeme, in denen man besser wird, weil andere sich trauen, ihr Wissen zu teilen. Und an Roboter, die durch viele Hände besser darin werden, uns Menschen zu unterstützen.

»Meine wichtigste Erkenntnis der letzten Jahre ist: Wir müssen nicht alles wissen – aber wir müssen offen genug sein, voneinander zu lernen.«


Wenn wir das schaffen, werden Roboter bald nicht nur intelligenter, sondern auch relevanter durch das, was sie für uns tun können: Im Alltag. In der häuslichen Pflege. In der Industrie oder beim Beseitigen unserer Umweltsünden in aller Welt. Einfach überall dort, wo uns heute und künftig die großen Herausforderungen begegnen.

In meiner Vision blicken wir dann zurück und sagen: Das war wieder so eine Revolution, in den 2020er Jahren! Wie die Dampfmaschine, die Elektrizität, das Internet oder das Smartphone. Als durch die Zusammenarbeit vieler heller Köpfe das Zeitalter begann, indem Roboter das Leben aller Menschen ein bisschen einfacher und besser machen.