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Wenn unsere kreativen, kognitiven Fähigkeiten nicht mehr gebraucht werden, welche Arbeiten bleiben dann für uns übrig?
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Wenn unsere kreativen, kognitiven Fähigkeiten nicht mehr gebraucht werden, welche Arbeiten bleiben dann für uns übrig?
Geht es Euch auch so? Egal, wohin man blickt, das Thema künstliche Intelligenz dominiert irgendwie alles. Technologie-Kongresse sind im Grunde zu KI-Kongressen geworden. KI schreibt Hausarbeiten und kreiert täuschend echte Fotographien. Und KI scheint schon zur ernsthaften Konkurrenz für Rechtsanwälte und Hollywood-Drehbuchautoren geworden zu sein. Die KI-Schöpfer und Fans schwärmen von den Möglichkeiten, die Gegner wollen sie regulieren und sogar verbieten.
Eine Sorge teile ich. Natürlich denke ich nicht, dass KI einen Vernichtungsfeldzug gegen uns Menschen führen wird. Dass wir uns nicht einmal die Möglichkeit offen lassen, den Strom abzuschalten – so dumm sind wir Menschen nur in Hollywoodfilmen, oder? Hoffentlich.
Ich teile die Sorge, die vor allem die Kreativ-Branche derzeit beherrscht. Die Drehbuchautoren in Hollywood, die sich sorgen, vom kreativen Geschichtenerzähler zum KI-Fütterer degradiert zu werden. Die Photografen und Designer, die mit Midjourney und anderen Bilderstellungs-KI’s nicht mithalten können. Denn sie können gar nicht so viel in so kurzer Zeit klauen und neu zusammenfügen, wie eine KI das kann. Und nach den Urhebergesetzen dürfen Menschen das auch gar nicht. Ich denke auch an die Sprecher und Schauspieler, die mit ansehen müssen, wie heute ganze Dokumentarfilme von KI-generierten Stimmen kommentiert werden – und sogar die Stimmen von Schauspielern werden bereits perfekt imitiert.
Wollen wir wirklich, dass KI uns das Menschlichste überhaupt streitig machen könnte? Das Kreativ-Sein, das Erfinden, das Tüfteln, das Lösungen-finden. Kurz: Die Fähigkeiten, aufgrund derer wir Menschen uns gern als Krone der Schöpfung bezeichnen, oder im darwinistischen Sinn: als Speerspitze der Evolution. Ja, wir haben uns manche stärkere Spezies untertan gemacht. Nicht, weil unser Gehirn massenhaft Wissen, also Daten, sammeln und auswerten kann. Sondern: Weil wir kreativ sind und Werkzeuge erfinden. Das war unser unfairer Vorteil in der Natur. Wir hatten zwar nicht die Kraft, aber den Einfallsreichtum, um den Ochsen vor den Pflug zu spannen oder den Esel das Mühlrad antreiben zu lassen. Jetzt arbeiten wir an einem Werkzeug, das quasi allwissend ist! Den KI stehen mehr Informationen und Erfahrungen zur Verfügung, als je ein einzelner Mensch erfassen kann. Die Folge ist, dass KI teils schon heute in der Lage sind, schneller abzuwägen und bessere Entscheidungen zu treffen als wir Menschen.
Digitaler Darwinismus: Das heißt ja, dass eine alte Technologie von einer neuen, besseren verdrängt wird. Nur konkurrieren hier nicht mehr zwei Technologien! Das menschliche Gehirn selbst bekommt Konkurrenz.
Bekommt das menschliche Gehirn Konkurrenz?
Natürlich gibt es die Chance, dass wir irgendwann Nanochips haben, mit denen sich die Fähigkeiten von KI in unsere Gehirne einbauen lassen. Optimal! Wir behalten unsere Kreativität und Persönlichkeit und erweitern sie mit den Fähigkeiten von künstlicher Intelligenz. Aber bis das soweit ist? Solange bleibt KI erstmal Software: Nicht-greifbar, ein digitaler Geist. Wir erschaffen uns Götter, die uns aus dem Metaversum heraus sagen, was wir zu tun haben. Das sind dann Götter, die noch nie selbst den Müll runter gebracht haben, weil sie es gar nicht können! Weil sie ja weder Arme noch Beine haben! Ist die Zukunft also, dass wir uns als Arbeitstiere von KI vor den Karren spannen lassen? Wenn unsere kreativen, kognitiven Fähigkeiten nicht mehr gebraucht werden, weil die schnellere, umfassender informierte KI alles übernimmt, welche Arbeiten bleiben dann für uns übrig?
Deshalb steht für mich schon seit langem die Hardware im Mittelpunkt: Roboter mit allen wichtigen Sinnen und kognitiven Fähigkeiten. Ein Körper, mit dem eine vorausschauende, künstliche Intelligenz eigenständig agieren kann.
Denn ich behaupte, wir wünschen uns alle eine Zukunft, in der die KI den Müll selbst rausbringen kann. Die künstliche Intelligenz soll uns nicht sagen, was wir tun müssen. Wir müssen sie in die Lage versetzen, es selbst zu tun. In allen Bereichen der Gesellschaft und vor allem dort, wo Fachkräfte fehlen. In der Industrie, im Service, in der Pflege. Und natürlich dort, wo gefährliche oder langweilige Aufgaben erledigt werden müssen. Kognitive Fähigkeiten sind der Schlüssel dazu, dass Roboter uns im Alltag unterstützen können. Sie brauchen die Fähigkeit, ihre Umgebung vollständig wahrzunehmen, vor allem aber: Uns Menschen. Nur dann können Roboter sicher an unserer Seite arbeiten.
Dazu brauchen sie Augen und Ohren, aber auch einen feinen Tastsinn. Und sie brauchen sozusagen Nervenbahnen, die es ihnen erlauben, reflex-artig und eigenständig zu reagieren. Im Alltag müssen zahlreiche Gegenstände und Abläufe erkannt und verstanden werden, damit wir den Robotern einfach zeigen können, wo der Mülleimer steht und wo draußen die Biotonne ist. Aber zuerst geht es einmal darum, Gefahren frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden. Da spielt KI eine ganz zentrale Rolle.
In der Industrie sind das schon keine Zukunftsvisionen mehr. NEURA Robotics hat mit MAiRA bereits den ersten kognitiven “Cobot” auf den Markt gebracht. Aber wenn wir MAiRA mit der fortschrittlichsten KI der Welt ausstatten und ihr sagen: »Bring den Müll raus!«, dann wird sie antworten: »Dann mach mir halt Beine!«
Eines ist aus meiner Sicht gewiss: Fortschrittliche, kognitive Roboter werden sich in der Gesellschaft erst dann wirklich durchsetzen, wenn sie sich in einer für den Menschen gemachten Umgebung nicht nur orientieren, sondern auch bewegen können. Denn wir Menschen haben unsere Umgebung seit Jahrtausenden ergonomisch für uns optimiert: Nehmen wir Treppen, Türen, Türklinken oder Lichtschalter. Fast alle Hilfsmittel und Werkzeuge, die wir benutzen, sind für Hände ausgelegt und haben Griffe oder Schalter. Roboter der Zukunft brauchen nicht nur künstliche Intelligenz. Sie brauchen das gesamte Spektrum kognitiver Fähigkeiten sowie eine Hardware, einen Körper, mit dem sie in unserer Umwelt agieren können.
Und da sich niemand einen humanoiden Roboter vorstellt, der einen Karren voller Peripheriegeräte und Akkus hinter sich herzieht, müssen sämtliche Funktionen und dafür nötige Komponenten in den Roboter eingebaut sein.
Dieser “One-Device” Gedanke war der Initialzünder für die Gründung von NEURA Robotics. Und ich war mir damals schon sicher, dass ein solcher Plattformgedanke nicht nur in der Industrie vieles vereinfacht, sondern auch die beste Grundlage für die Serienproduktion von humanoiden Robotern ist. Genau so, wie Software einen Computer für unterschiedlichste Fachgebiete einsetzbar macht und wie eine App das Smartphone erst zum Leben erweckt, so werden Apps auch einen Roboter für unterschiedlichste Einsatzgebiete fit machen.
KI und kognitive Robotik in Kombination – das wird die Gesellschaft in vielen Lebensbereichen völlig verändern. Achten wir gemeinsam darauf, dass wir uns nicht zum Handlanger von KI degradieren lassen! Denn Kreativität und Kultur unterscheiden uns Menschen schließlich von den anderen Lebewesen auf unserem Planeten. Und wir wollen ja alle, dass KI im bio-digitalen Darwinismus lediglich ein weiteres Werkzeug ist, das uns das Leben erleichtert.